Selbstfürsorge in der Krise
Ich übe mich gerade darin, jeden Tag einen guten Aspekt in dem gefühlten Chaos zu entdecken. Vielleicht hilft mir die positive Grundhaltung, die ich habe. Oder, es ist der regelmäßige Austausch mit meinen Freunden, die durch Gespräche wieder in einen beruhigten Modus zurückfinden. Oder es ist die besondere Zeit des Novembers, die ich als kuschelig und wärmend empfinde. Ich habe in der Zwischenzeit sehr viele spannende Artikel und Interviews zum Thema Corona gehört oder gelesen. Und einen guten Austausch mit meinen Kunden und meiner Kollegin Insa Löll gehabt. Mein persönliches Fazit bisher: Wir lernen endlich Selbstfürsorge und wir sollten endlich umdenken.
Das ist eigentlich das Dauerbrenner-Thema in meinen Coachings und wird nun zur eigenen Fürsorgeverpflichtung. Die meisten achten schon viel besser auf ihren Körper und auf das Immunsystem. Wir ernähren uns gesünder oder stärken uns an der frischen Luft. Corona lehrt uns aktive Selbstfürsorge und Selbstverantwortung. Wir lernen, unsere Gesundheit zu unterstützen und achtsam mit unserem Körper umzugehen. Vielleicht auch Grenzen zu ziehen und Dinge nicht zu tun, die uns oder anderen schaden könnten. Wir schützen uns und andere und übernehmen Verantwortung. Und das ist genau das, was wir jetzt wirklich brauchen.
Eine Pandemie als Meisterprüfung für die persönliche Krisenresilienz
Corona bietet außerdem die perfekte Bühne, verschiedene Ängste zu durchleben. Was löst eine sich ausbreitende Pandemie in einem aus? Ist es die Angst vor der Krankheit oder die Angst vor dem Tod? Vor Unfreiheit, vor Kontrollverlust oder vor Machtlosigkeit? Das sind alles reale Ängste. Real im Sinne von: Sie haben schon immer in uns existiert, oft unbemerkt, bis wir etwas erleben, das sie wach kitzelt.
Krisenzeiten bringen diese Ängste hervor und schärfen unser Bewusstsein für sie. Meine Krisen mit Burnout und Co. haben mich gelehrt: Ich kann mich noch so anstrengen und bin doch machtlos gegenüber dem, was außen geschieht. Ich kann es nicht kontrollieren. Das einzige, was ich kontrollieren kann sind meine Wahrnehmung und mein Verhalten. Und für diese Selbsterkenntnis bin ich sehr dankbar!
Unsere Beziehung zur Welt neu definieren
Wir hatten uns schon daran gewöhnt, die Grippewellen zu ignorieren. Die Konfrontation mit diesem neuartigen Virus lehrt uns wieder, unsere Sterblichkeit anzunehmen und damit auch unsere Beziehung zur Welt und zur Natur von Grund auf neu zu gestalten. Mit mehr Demut, mit mehr Vertrauen und Hingabe. Es steht eben nicht alles unter unserer Kontrolle. Und stand es ohnehin noch nie. Wir wachen jetzt unfreiwillig aus unserer Pseudo-Sicherheit auf.
Was wir dadurch lernen können ist, innere Stabilität zu gewinnen. Sicherheit und Geborgenheit in uns selbst zu finden. Wir dürfen über unsere Ängste hinauswachsen und uns der Kraft in unserem Innersten zuwenden. Verfallen wir in Panik oder bleiben wir in unserer Mitte? Verkrampfen wir oder halten wir unser Herz offen? Flippen wir schon aus oder atmen wir noch ruhig? Corona ist die Meisterprüfung für persönliche Krisen-Resilienz! Auch ich arbeite daran gerade auf Hochtouren. Und ich bin mehr als gefordert.
Was wirklich wichtig ist
So besinnlich wie es gerade ist, ging es bislang ja nicht mal zu Weihnachten zu! Im Lockdown2 haben wir wieder innerhalb weniger Tage gelernt, das öffentliche Leben drastisch zu reduzieren und einige Gänge runter zu schalten. Wir steigen aus der Hektik des Alltags aus – dem ewigen Streben nach mehr. Viele Tätigkeiten sind auf einmal obsolet geworden oder erscheinen schlichtweg nichtig. Wir haben die Gesundheit und das Leben zur obersten Priorität erklärt. Selbst Wirtschaft und Bruttosozialprodukt sind jetzt nachrangig. Das hat es so, zumindest seit ich lebe, noch nie gegeben.
Natürlich ist es bedauerlich, dass so viele Menschen existenziell betroffen sind. Und natürlich habe ich grösstes Verständnis für die dahinterstehende Wut auf behördliche Anordnungen. Tatsächlich können wir aber nur eines machen. Akzeptieren was ist und uns kreative Lösungen einfallen lassen.
Eine Hochzeit für das menschliche Miteinander
Wir erfahren Entschleunigung und haben plötzlich Zeit darüber nachzudenken, was uns wirklich wichtig ist. Oder was wir mit unserer Zeit anfangen wollen. Keine Ablenkungen mehr. Voller Fokus auf das Leben im Hier und Jetzt! Ist das schön? Nein, es fühlt sich einfach nur fremd an. Weil wir das so nicht geübt und gelernt haben. Vielleicht führt es uns aber auch zu der Erkenntnis, dass die Art und Weise, wie wir vor Corona gelebt und konsumiert haben, kontraproduktiv war . Stattdessen werden Werte wieder wichtiger. Ein Umdenken kann zudem eine Chance auf etwas ganz Anderes und Neues sein. Was genau das jedoch sein kann und wird, ist so individuell wie ein Krankheitsverlauf von Corona.
Der Ruf nach resilienten und lokalen Wirtschaftsstrukturen wird lauter
Corona macht uns eine Sache radikal bewusst: In einer globalisierten Welt, in der alles vernetzt ist, kann nichts mehr isoliert betrachtet werden. Alles, was in China passiert, betrifft uns nun auch hier und umgekehrt. Die globalen Abhängigkeiten sind massiv geworden und das macht das System anfällig für Störungen. Ein globaler Virus zeigt, wie die vernetzte Wirtschaft funktioniert, von der viele von uns abhängen. Und wie schnell eine Talfahrt beginnen kann.
Es ist davon auszugehen, dass kleinteilige, regionale Wirtschaftskreisläufe weitaus resilienter und krisensicherer sind, da sie eigenverantwortlich gemanagt werden. Corona kann hier eine Einladung sein, solche Strukturen aufzubauen. Zum Beispiel bei Lebensmitteln in Form von Gemeinschaftsgärten, Food-Cooperationen oder Community Supported Agriculture. In anderen Bereichen durch den Ausbau autarker Energiesysteme, die Förderung von Nachbarschaftshilfe oder Kleider- und Warentausch-Kreisen. Wir könnten dadurch viel gewinnen: Nicht nur Stabilität im Wirtschaftssystem, sondern auch Lebensqualität. Denn Verbundenheit und erfahrene Sinnhaftigkeit machen uns nachweislich glücklicher als für irgendwelche Konsumgüter oder Statussymbole zu schuften. Ich meine, dass ein Großteil der jungen Generation das auch längst begriffen hat.
Was auf einmal möglich ist, wenn man nur will
Für mich hat Corona gezeigt: Wenn wir müssen, dann geht es auch! Es sterben Menschen in unserem nahen Umfeld. Auf einmal sind Maßnahmen zur Eindämmung potenzieller Gefahren deshalb ganz einfach und gehen wunderbar schnell. Heute tagt der Krisenstab, morgen sind schon die Lösungen parat. Wer hätte das gedacht. Ich jedenfalls nicht. Und die Bevölkerung spielt auch grösstenteils richtig gut mit, sagen erfahrene Soziologen. Da fragt man sich schon, was hat Corona, das der Klimawandel nicht hat?
Mein persönliches Resümee
Ich gebe zu, was mir am meisten ausmacht, ist die gefühlte Freiheitsberaubung. Denn Freiheit ist mein höchster Wert. Aber ich kann auch gut annehmen, dass es ist wie es ist. Während wir alles dafür tun, eine großflächige Verbreitung und zusätzliches Leid einzudämmen, öffnet sich gleichzeitig ein einmaliges Fenster der Möglichkeiten, das wir im Sinne der Prävention und ebenfalls im Sinne eines tiefgreifenden, gesellschaftlichen Wandels nutzen können und sollten. Endlich aus dem kollektiven Burnout erwachen und nach der Erholung zum Tagesgeschäft zurückkehren? Das wäre dumm. Wir wissen doch schon längst, dass ein unendliches Wachstum auf unserem endlichen Planeten nicht nur nicht funktioniert, sondern den Planeten und unsere Lebensgrundlage zerstört.
Ich hoffe, wir verstehen und lernen unsere Systeme den unfreiwilligen neuen Chancen besser anzupassen. So wie beim Home-Office, wo eine Nischenarbeits-Methode über Nacht zur alternativlosen Pflichtveranstaltung geworden ist. Die hat jedoch nicht nur Nachteile sondern auch von überholten und restriktiven Strukturen bislang unterdrückte Vorteile. Denn plötzlich zeigen die in Vor- Corona-Zeiten undenkbaren Umstrukturierungen mitunter weit überlegene Ergebnisqualitäten, die das Home-Office schon jetzt als Standard-Option bestehender und zukünftiger Workflows gesetzt hat.
Wir haben die Wahl
Wir können uns jetzt für neue Arbeitsmethoden und Lebensmodelle entscheiden, die wir zwar erst wenig kennen, in denen aber auch die fundamentalen Rahmenbedingungen für die Regeneration unserer Gesellschaft schlummern. Corona ist deshalb auch – bei allem Respekt gegenüber dem Leid, dass es verursacht – ein Weckruf, neue Wege einzuschlagen, regenerative Kulturen aufzubauen, regionale Wirtschaftskreisläufe zu schließen, sich dem unbekanntem Neuen zu öffnen und Rahmenbedingungen zu schaffen, die das Leben fördern anstatt es zu sabotieren und zu boykottieren!